Ein
dankbarer Blick zurück zur der Gründung
des
Marine Vereins in Gladbeck 1907
und
in die damalige Zeit vor 100 Jahren
In
den nächsten Seiten, die die Zeit des Lesers höchstens eine
viertel Stunde beanspruchen wird,geht es um das Nachempfinden der
Gründung des Marine Vereins in seiner Zeit. Ich stützte mich bei
der Recherche auf die Arbeiten von Frau Wittig und die Herren
Weichelt, Hoffmann, Neumann und viele andere, die sich um das
Geschichtsbewußtsein unserer Stadt verdient gemacht haben.
Mündlich
wurde der Vortrag während der Jubiläumsveranstaltung im großen
Saal unserer„Guten Stube“, Schloss Wittringen am 7 Juli 2007
gehalten.
Die
Gründung des Marinevereins 1907 in seinem Gladbecker Umfeld
Die
Gründung des Marinevereins in Gladbeck fällt in die Zeit der
größten Umwälzungen in unserem Gemeinwesen Gladbeck, nämlich in
die Zeit von 1880-1920. Sie ist markiert auf der einen Seite durch
die Errichtung des Amtes Gladbeck 1885 und die Abteufung sowie den
Beginn der Steinkohleförderung auf der Zeche Moltke I/II am
15.10.1877 und auf der anderen Seite durch den 1. Weltkrieg,
Revolution, Ausrufung der Republik und durch die Erhebung des Amtes
Gladbeck zur Stadt am 21.7. 1919.
In
diesen 40 Jahren schnellt bedingt durch durch den großen Arbeitgeber
„Zeche“ die Bevölkerungszahl
von 4464 im
Jahre 1885
auf 60043 im
Jahre 1925
„Tausend
Jahre traumumsponnen lagst du,Gladbeck weltentronnen.......“
Treffender,
als mit dem Spruch unter einem Fenster des alten ( leider im letzten
Krieg zerstörten) Sitzungssaales im Rathaus, kann man das Geschehen
in Gladbeck nicht beschreiben.
Eine
bäuerliche Gesellschaft in einem Dorf ( an dem das Weltgeschehen
weitgehend vorbei gegangen war) wurde mitgerissen in den Sog der
Industrialisierung.
Der
zweite Teil des Spruches im Rathaus drückt das noch krasser aus;
….Deutschlands
stolzer Siegeslauf dröhnt dich donnernd wach. Glück Auf“
Die
großen Verkehrsströme gingen weit am Dorf und Amt Gladbeck vorbei.
Das
Amt Gladbeck mit dem verdienten Amtmann Korte hinkte den
Entwicklungen ständig hinterher.
Stadtteile
entstehen völlig losgelöst vom Kern der Stadt, nur konzentriert auf
die jeweiligen Arbeitsstätten Zeche.
Gladbeck
teilt da das Schicksal der meisten Ruhrgebietsstädte .
1907
förderten die Zechen Moltke I / II ; III / IV; Möller und Mathias
Stinnes mit enormen Umweltbelastungen. Die Zeche Potsdam (Zweckel)
war in der Planungsphase.
Die
Bevölkerungszahl betrug 1905 ~ 21000 Menschen.
67
% der Erwerbstätigen waren im Bergbau beschäftigt.
Die
Narben in der Gesellschaft durch die großen Bergarbeiterstreiks 1889
und 1905 waren kaum
verheilt.
Die
Lebensumstände der Bergarbeiterfamilien waren gelinde gesagt
katastrophal.
Das
seit 1849 / 50 geltende preußische Dreiklassen-Wahlrecht und das
politische Desinteresse der Arbeiterschaft förderten die soziale
Stellung der Arbeiter in keiner Weise.
Die
nachfolgenden Tabellen (entnommen aus dem Buch von Gudrun Wittig :
“Kochmaschine,Kostgänger,Kolonie“) sollen die Lebensumstände
verdeutlichen.
Wöchentlicher
Nahrungsbedarf einer Bergmannsfamilie 1910
Brot
( 24 Pfd.) 2,04
Margarine (2 Pfd.) 1,32
Fleisch
( 7 Pfd.) 6,30 Butter
( ½ Pfd) 0,70
Mehl
(3 Pfd. Buchweizen) 0,48 Gemüse (
Sauerkraut 5 Pfd.) 0,41
Kartoffeln
( 70 Pfd.) 2,45
( Bohnen 2 Pfd.) 0,36
Kaffee
( 1 Pfd.) 1,20
(Erbsen 2 Pfd.) 0,34
sonstiges
2,30
zusammen
17,90 Reichsmark
Dagegen
standen die Wochen / Schichtlöhne ( hier auszugsweise)
Jahr
ungelernter Bergmann Hauer
Wochenlohn Schicht
1907 29,94 4,99
6,14
1910 27,66 4,61
5,45
Hinzu
kommen die Ausgaben für Miete der Wohnung ~ 3 Mark, Heizung, Licht,
Kleidung, Krankengeld.
G.
Wittig schreibt:
„ Es
bestand ständig die Gefahr des Absturzes in die absolute
Existenznot, hervorgerufen durch Krankheit, Arbeitsunfall,
Verdienstausfälle durch Störungen in der Förderung,
ungerechtfertigte „Nullung“ der Kohlewagen und Preissteigerungen
bei den Nahrungsmitteln
Preissteigerungen
von 1907 – 1910
Kartoffeln
6,9 % Bohnen 6,8 %
Brot
13,3 % Graupen 15,5 %
Erbsen
18,4 % Schmierseife 13,3 %
Schmalz
25,5 %
Die
gesamte Last für das Wohlergehen der Familie lag auf den Schultern
der Arbeiterfrauen
Die
etwas besser gestellten Damen der Mittelschicht wirkten im
„Vaterländischen Frauenverein“.
Für
kulturelle Betätigungen außerhalb der 1-2 Raum-Wohnungen hatten die
Arbeiterfrauen, da sie meistens etwas dazu verdienen mussten, keine
Kraft.
Die
Kirchen versuchten, meist ohne Erfolg, die größere Not zu lindern.
Sie hatten genug damit zu tun den Ansturm der Gläubigen zu
bewältigen.
Das
Dorf um die Jahrhundertwende
Was geschah im Dorf
1880 wird die
Bahnlinie Essen – Winterswyk eröffnet. In der ersten Zeit
verkehren täglich 3
Züge in jede Richtung.Die Strecke sollte eigentlich
über Buer führen. Wegen der nicht
günstigen Bodenverhältnisse wird die Strecke etwas
westlicher über Gladbeck geführt.
Und Gladbeck bekommt seinen ersten Anschluss an
die Eisenbahn und die Welt
da draussen mit dem Bahnhof Gladbeck ( später mit
dem Zusatz „-Ost“).
Ab
1888 erscheint zunächst 2mal wöchentlich die „Gladbecker
Zeitung“.
Die bäuerliche geprägte Gemeindevertretung hatte es
nicht eilig mit der Kommunikation
über das Telegraphennetz und der allgemeinen
Briefpost hinaus. Man traf sich beim
sonntäglichen Kirchgang oder auf dem Markt. Das
reichte zum Austausch von Neuigkeiten.
Erst 1892 wurde Gladbeck an das
Rheinisch-Westfälische Fernsprechnetz angeschlossen.
Später sind 47 Telefonanschlüsse im Horster
Telefonbuch für Gladbeck verzeichnet.
Darunter nur 2 private Anschlüsse, nämlich
Sägewerksbesitzer Anton Küster und der
Gastwirt Heinrich Vaerst.
Ab 1895 existiert eine gut organisierte Freiwillige
Feuerwehr.
Ab 1895 war die Kanalisation der Hauptstraßen
durchgeführt worden.
Ab 1898 wurde es im Ortskern nachts etwas heller. Die
Gasanstalt wurde gebaut und die
künstliche Beleuchtung des Dorfes wurde in Angriff
genommen. Ein neuer Beruf war
geboren: der des Lampenanzünders.
Am 1. Januar 1898 waren in der Verwaltung außer dem
Amtmann Korte tätig:
2
Sekretäre, 4 Gehilfen, 1 Vollziehungsbeamter und 3 Polizeidiener
und besonders
bemerkenswert nur ein Steuereinnehmer. Man war stolz
Steuern zu bezahlen; wer Steuern
zahlte durfte wählen.
Um 1900 wurden 31 Straßen offiziell benannt und die
Hauptstraßen bekamen Bürgersteige.
1903 mischte mischte sich unter den Duft von frischen
Pferdeäpfeln der Qualm des ersten
Autos auf den Straßen.
1903 wird der erste öffentliche Fernsprecher
errichtet.
1905 wird Gladbeck an die in west-östliche Richtung
verlaufende Bahnlinie Oberhausen-
Hamm angeschlossen und bekommt seinen 2. Bahnhof „
Gladbeck West“.
Durch den Zuzug von oft ledigen Arbeitern gab es
häufig Störungen der öffentlichen
Ordnung. Die polizeiliche Beobachtung von gewissen
politischen Gruppierungen
erforderten eine Vergrößerung des Polizeiapperates.
1908 befehligten Polizeikommisar Schlüter und
Polizeiwachtmeister Keck
15 Polizeiserganten in Gladbeck.
Kirche
und Schule
Die alte katholische Lamberti Kirche mit dem Zwiebelturm
aus dem 18. Jahrhundert reichte bei weitem nicht mehr aus und wurde
durch die 1899 eingeweihte Neue Lamberti Kirche ersetzt.
Die evangelische Gemeinde gründete sich 1893. Die erste
Kirche stand vor dem Rathaus. Sie hatte 600 Sitzplätze.
Die neu 1911 eingeweihte Paulus Kirche in Brauck und die
Christus Kirche in Gladbeck Mitte wurden der angestiegenen Zahl der
evangelischen Christen gerecht.
Die evangelische Gemeinde war von 3000 Seelen im Jahre
1900 auf 12000 im Jahre 1912 gestiegen.
Die konfessionelle Aufteilung und Entwicklung läßt
sich auch an den Schülerzahlen der Volksschule ablesen.
katholisch
evangelisch
1900
1508 390
1905 2364
948
1910 4931
2569
Die
Krankenfürsorge
Die Bewohner des Ortes waren in der Beschaulichkeit des
ländlichen Daseins und auch in den Anfängen der Industrialisierung
in ernsteren Krankheitsfällen ausschließlich auf die Hauspflege
oder die Krankenhäuser der weiteren Umgebung angewiesen.
Die Abtrennung Gladbecks vom Amt Buer und die stetig
wachsende Bevölkerungszahl weckte den Wunsch nach eigener
Krankenpflege. 1894 wurde das Krankenhaus St. Barbara eingeweiht;
schnell zu klein geworden und 1902 um einen größeren Anbau
erweitert. Die Jahre danach erforderten ständige Erweiterungen.
Das
Vereinswesen in Gladbeck
Die konfessionell gebundenen Vereine beherschten das
Feld.
Vor allen Dingen die katholisch geprägten
Knappenvereine. Es existierten 1907 im Dekanat Dorsten 20 katholische
Arbeiter- und Knappenvereine.
1903 wird der evangelische Arbeiterverein Gladbeck-Mitte
gegründet als gesellschaftspolitisches Gegenstück zur
Sozialdemokratie und dem freigewerkschaftlichen „ Alten Verband“.
Der evangelische Arbeiterbund und die Kolpingvereine
haben beide ihrer Urverfassung unter Art.5 folgenden Satz: „...man
stelle sich gut mit dem Prinzipal (Arbeitgeber)...“.
1907 entsteht das Katholische Arbeitersekretariat und
Volksbüro zu Gladbeck.
Die Evangelische Frauenhülfe (mit ü) entsteht.
Turnvereine wie „Einigkeit“ und Liedertafeln wirken
in der Bürgerschaft.
Im
Juni 1907 führt der schon 1867 gegründete Landwehr und
Kriegerverein das pompös ausgestattete mehrtägige
Kreiskriegertreffen mit 3000 Mitgliedern aus 51 Vereinen des Kreises
durch . Die „
Gedienten“ zogen in langen Aufmärschen durch die Stadt.
Festkommers, Versammlungen und
Festreden lösten sich
unaufhörlich ab.
Der örtliche Kriegerverein hatte zu der Zeit ca. 500
Mitglieder. Die Vorsitzenden waren von 1904-1907 Steiger Erfmann
und von 1907-1918 Bankdirektor Bußmann.
Es scheint im Nachhinein taktisch unklug gewesen zu
sein, gerade nachdem im Juni 1907 das große Kriegerfest
stattgefunden hat, im Juli an die Gründung eines eigenständigen,
konkurrienden Marinevereins zu gehen.
Ob einige der kaiserlichen
Mariner vorher Mitglied im Kriegerverein waren, und ob es deshalb zum
großen Unmut und zum starken Widerstand des Kriegervereins gegen
einen wenn auch kleinen Konkurenzverein gekommen ist, ist nicht
bekannt.
Der Landwehr und Kriegerverein argumentierte ,daß die
Gruppe „ Marinemannschaften“ doch eine Kompanie innerhalb des
Kriegervereins bilden könnte.
Wie beispielsweise die Artilleriegruppe, Transport +
Pioniere usw.
Das wollten die „Lords“
nicht. Sie waren kaiserlich , während
alle anderen Landtruppen königlich preussisch, königlich bairisch ,
großherzoglich usw. waren.
( Der Befehl zur
Mobilmachung am 1. August 1914 ging an Die Deutschen
Heere und an Die
Kaiserliche Marine)
Alle Vereine trafen sich sonntags ( nachmittags und
abends). In der Woche wurde gearbeitet und der Garten versorgt. Nur
die Gastwirte und die Landwirtschaft gingen am Sonntag der gewohnten
Beschäftigung nach.
Es war nicht üblich in mehren Vereinen Mitglied zu
sein.
Die Treffen wurden ein bis zwei Tage vorher in der
Tageszeitung angekündigt. Das reichte. In Gladbeck war ja ausser
Vereinstreffen, Markt und Sonntagsgottesdienst nichts los.
Die Mariner trafen sich am Sonntag den 7.7. 1907 bei
Küper, Kaiserstraße. (jetzige Horsterstraße) Man gründete den
Verein . 7 Mann gaben ihren Namen. Das Bürgerliche Gesetz Buch vom
1.1. 1900 forderte dieses Vorgehen. Wir glauben, daß schon damals
mehr Mariner zum Verein gehörten, denn schon 1913 gab es den ersten
großen Marineball im Vereinslokal „Emil Surmann“, Kaiserstraße
14. Einer der Gründerväter ,Tückmantel ,hatte sein Geschäft
Kaiserstraße 12 ( gegenüber der Lamberti Kirche)
Die Marinesoldaten des Gründervereins waren jung. Noch
1962 nahm Fritz Lapschies, 80zig jährig ,an einer Versammlung der
Marinekameradschaft im Lokal Van Suntum teil. Er muss also bei der
Gründung ~ 25 gewesen sein.
Von einem Mitglied, nämlich Fritz Tückmantel wissen
wir es genauer. Er starb 1915 mit 40
Jahren. Er war also bei der Gründung 32 Jahre alt.
Von 1914 ( 1. Weltkrieg) bis 1926 ( Ruhrbesetzung) weiß
man wenig über das Vereinsgeschehen. Ab 1926 erwachte wieder das
Vereinsleben ,um dann in den dreißiger und vierziger Jahren in die
nächste Katastrophe abzugleiten. Aber das ist eine andere
Geschichte.
Das Pflänzlein , seit 1907 in der Gladbecker Erde
verwurzelt, ist zu einem schönen, großen Baum mit einer breiten
Krone geworden, unter dem wir uns alle wohlfühlen und
in Frieden glücklich sein können.
Lorenz Knudsen
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